1991-12-03 | Potsdamer Neuste Nachrichten – Ambivalent wie die fragilen Gestalten, die sie beleben
Bilder Sebastian Heiners in der „Galerie am Wildpark“
Wally Poltiniak
Manchmal schwebe sie, genießen Freiheit im Bild, kommen leichtfüßig daher; kein Raum, sie allein, einzigartige Existenz. Dann wieder gehen sie aufeinander zu, suchen und berühren sich. Leise geschieht das, ohne eindeutige Gesten, eher wie ein verhaltenes Bewegungsspiel, das jedem seine eigene Verwandlung gestattet.
Lange Gewänder hüllen die Körper ein, und sind doch beides, Außen und Innen, Haut und Seele des Menschen. Schmale, kleine Köpfe, deren Anonymität eine hohe Faszination bewahrt, stehen im Gegensatz zu den strengen Formen und bringen Aktivität ins Bild. Sebastian Heiner malt „seine Gestalten“, erfundene Figuren, die erst im Prozeß des Malens entstehen. Der Künstler bearbeitet seine Leinwand mit breitem Pinsel, zeiht Farben weit aus, kratzt einzelne Partien wieder ab, setzt zu und entwickelt so eine lebendige Bildoberfläche, Malhaut.
Farbe hat bei ihm keine beschreibende Funktion, sie agiert frei von Gegenständlichkeit, großzügig aufgetragen, kompakt oder lasierend, in einem interessanten vertikalen und diagonalen Gestus miteinander verspannt. Farbe ist das Material, seine eigene Befindlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Ruhe, Unruhe, Infrage-stellen von Wirklichem, sind Teil seiner Empfindsamkeit und werden im Arbeitsprozess ausgetragen. Zufälle spielen dabei eine Rolle, so daß einzelne Aspekte betont, oder gar in der Formulierung überzogen werden.
Der Maler bevorzugt einen Wechsel von hellen und kräftigen Farbtönen, entlockt den Übergängen genau jene Nuancen, die seiner Malerei diesen metaphorischen Gehalt unterlegen. Sein Blau kennt viele derartige Abwandlungen, bis ins Tiefe oder Helle hinein, der Figur und ihrem Hintergrund dienend. Fast immer ein ungegenständliches, assoziativen Umfeld, Welt der Träume des Menschen, seiner Gedanken und Gefühle. Ein Rot, oftmals gebrochen hin zum Rosé oder fleischfarbenen Klang, gesellt sich dazu und bereichert die Kontraste. Befremdend, aufdringlich, wirkt das Grün in dieser Malerei, auf eine andere Weise als das Blau den Menschen infrage stellend, mehr von seinen Gefühlen her. Und doch findet man bei genauer Betrachtung heraus, daß sich ein Motiv in allen Figurendarstellungen wiederholt, und zwar ist das die Bewegung, wo eine Gestalt sich der anderen entgegenbeugt oder ihr entgegenkommt, Köpfe und Hände sich annähern, der eine sozusagen den anderen annimmt.
Sebastian Heiner hat sich der Figur verschrieben, was sich ebenso in den grafischen Werken zeigt. Seine Bleistiftzeichnungen sind von einer besonderen Schönheit, formulieren teilweise akribisch genau, dabei sehr lyrisch, stimmungsvolle Momente.
Dieser Duktus erlaubt eine bestimmtere Form, als es in seiner Malerei möglich wäre. Gestalt und Raum erhalten in diesen künstlerischen Ausdrucksmitteln eine differenzierte Wirkung. Aber beide, Malerei und Grafik, beziehen sich auf das gleiche Bild vom Menschen, der einfach er selbst sein will, in allem was er denkt, fühlt und bewegt, der sich in den Beziehungen zu anderen seines Lebenssinns versichern möchte. Vielleicht ergibt das den Inhalt der Bilder, ambivalent wie die fragilen Gestalten, die sie beleben. Sebastian Heiner lebt und arbeitet in Berlin, Prenzlauer Berg. Er studierte an der Hochschule der Künste, Fachklasse für Freie Malerei bei Professor Klaus Fußmann. Neben ersten Expositionen in Berlin stellt er jetzt in Potsdam aus. Die „Galerie am Wildpark“ zeigt seine großformatigen Werke, eine Sinnlichkeit, die wie gesagt, im Prozeß des Malens entsteht. Damit vertritt er eine Sicht, die auch hier viele Interessenten finden wird, und eine Verinnerlichung, die Gemeinsamkeit bewirkt.