1994-02-06 | Tagesspiegel – Lodernde Dochte in Rot und Gelb
Mäzenatische Pflege des Nachwuchses in Berliner Galerien: Sebastian Heiner bei Rafael Vostell und fünf Maler bei Volker Diehl
Heinz Ohff
Für Kunst und Kommerz, die ja merkwürdigerweise eng zusammenhängen, scheint die Zeit nicht gut. Das war schon immer so: die ersten beiden Monate des Jahres galten schon vor Jahrzehnten als Monate der leeren Galerien. Sensible Galeristen nutzen sie – ebenfalls seit jeher -, indem sie sich einer Aufgabe widmen, die ihnen ebenfalls – zusätzlich zur kommerziellen Tätigkeit – obliegt: der mehr oder weniger mäzenatischen Pflege des heimischen Nachwuchses.
So zeigt Rafael Vostell (Niebuhrstr. 2, bis 11. März) neue Arbeiten von Sebastian Heiner, dem Berliner Jahrgang 1964. Er ist Fußmann-Schüler, was man seinem Mal-Duktus noch hin und wieder anmerkt. Mehr beeinflußt scheint er jedoch vom Vater des Galeristen, Wolf Vostell, an dessen Sommerakademie in Malpartida er 1986 teilnahm. Von Vostell könnten die erregten schwarzen Flächen und Linien stammen. Dochte, an denen Fußmannsche Flammen in Rot und Gold lodern.
Da der junge Maler die von ihm bisher gepflegten El-Greco-haft in die Länge gezogenen Figuren aufgegeben oder vielmehr zu abstrakter Gestik abstrahiert hat, schließen seine Bilder einen zweiten Kreis. Sie weisen zurück zur informellen Malerei, der sie sich auch thematisch angeglichen haben. Aus den „Mondwandlern“ (Titel eines Bilds seiner ersten Ausstellung bei Rafael Vostell) sind abstraktere Inhalte gewachsen wie „Seltsame Unruhe“, „Aufregung“ oder „Im Strudel“. Man kann sie auch als konkreter bezeichnen, denn sie zeigen eine hohe malerisch-ästhetische Qualität, wie sie selten geworden ist in seiner Generation.
Volker Diehl (Niebuhrstr. 2, bis 9. März) führt – übrigens im gleichen Haus in der Niebuhrstraße – nicht weniger als fünf Beispiele für eben dieses Phänomen an. Sie beweisen die selbstverständliche Internationalität unserer Kunstszene. Die Bezeichnung „Berliner Maler“ ist ja ebenfalls schon seit Jahrzehnten noch über Breslau hinaus auf den Rest der Erdkugel ausgedehnt worden. Der bekannteste Name dürfte Christoph M. Gais sein, Stuttgarter des Jahrgangs 1951 und Schüler von Sonderborg und Girke, der seine malerischen Geflechte zugunsten Von Rasterführungen aufgegeben hat. Die Neuseeländerin Angela Dwyer pflegt einen pastosen Farb-Tachismus, der zuweilen leuchtet wie illuminiert, indes John Noel Smith aus Dublin signalhafte Zeichen in azurblauem Hintergrund geradezu ertrinken läßt („Scent and Touch“). Martin Assig stellt aus Bild, Zeichnung und Kleinplastik eine weitgefächerte Assemblage zusammen. Der Diehl-Schüler Jochen Stenschke ergänzt das Ganze mit einem innovativen Materialbeitrag – er benutzt Fiberglas als Grundfläche und Salzgranulat zum Aufbau plastischer Gebilde, deren Arte-Povera-Charakter heraussticht. Das klingt trockener, als es ist. Alle fünf Nachwuchskünstler verstehen es, ihre sehr abstrakten Themen visuell plausibel – und anschaubar zu machen. Beinahe wünschte man sich mehr solcher Tief-Zeiten im Jahreslauf der Galerien.