2000-02-25 | Handelsblatt – Ausstellungen in Berliner Galerien
Provokant und listig
Südliche Landschaften von Gustav Seitz und misshandelte Kinder von Heike Ruschmeyer, Szenen aus dem Pariser Alltag von Henri Cartier-Bresson und ein lebensgroßer Seemann von Guillaume Bijl: Der Gang durch Berliner Galerien zeigt ein spannungsreiches Kaleidoskop von künstlerischen Weltsichten.
BERLIN. Drei Jahre lang hat Michael J. Wewerka versucht, sich aus dem Kunstgeschäft zurückzuziehen – vergeblich. Seit kurzem hat er sich mit einer neuen Galerie zurückgemeldet. Standort ist die denkmalgeschützte Hiltonpassage in der Budapester Straße mit ihrer leichten Architektur der 60er-Jahre. Sie könnte durchaus noch weitere Galerien aufnehmen. Bis 28. März gibt Wewerka hier mit einer Accrochage Rückblick und Vorschau auf sein Programm. Dabei sind alte und junge Künstler dermaßen listig gemischt, dass erst auf den zweiten Blick die Newcomer von den Arrivierten zu unterscheiden sind. Im Erdgeschoss der Galerie, das von einer großen Fensterfront völlig geöffnet wird, sind die „Hingucker“ gruppiert. So Guillaume Bijls maritimes Ensemble aus lebensgroßem Seemann, Anker, Reuse, Bullauge und Möven, das als „Angebot des Monats“ für 12 000 DM zu haben ist.
Im Obergeschoss wird mit meist kleinformatigen Arbeiten auf Papier ein subtilerer Ton angeschlagen. Hier sind von Michael Buthe drei Collagen („Objekt für drei Räume“, je 3 500 DM) zu sehen, die mit ihrer reduzierten Farbigkeit und sparsamen Zeichensetzung noch der frühen Werkphase vor den Orientreisen angehören. Martin Kippenberger ist ebenfalls mit drei Arbeiten vertreten: Bleistiftzeichnungen von Interieurs mit Schrankwand, Ehebett und Grünpflanze (je 800 DM).
Auf Henri Cartier-Bresson, dessen Arbeiten zum festen Repertoire von Franck + Schulte gehören, verweisen die Galeristen wieder mit einer kleinen Studio-Ausstellung. Gezeigt wird aus dem umfangreichen Oeuvre des großen Fotografen eine kleine Auswahl prominenter Arbeiten, vornehmlich aus den dreißiger und fünfziger Jahren. Dazu gehören “Gare St. Lazare, Paris”, “Die Schleuse von Bougival” oder die “Rue Mouffetard, Paris”. Letztere ist zur viel reproduzierten Inkunabel der Fotografie geworden. Zwischen 3 000 und 5 150 Dollar liegen die Preise für die Aufnahmen, die in der Tradition der Fotojournalisten nicht limitiert sind und entsprechend der Nachfrage abgezogen werden (bis 18.3.). “Die Malerei im Galerieprogramm soll gestärkt werden” heißt es bei Rafael Vostell. Und mit drei starken malerischen Positionen tritt der Galerist sogleich den Beweis an. Sebastian Heiner, Stammkünstler der Galerie, ist mit seinen fast plastisch gemalten, zwischen Figuration und Abstraktion oszillierenden Arbeiten vertreten. Er hat zwei Berliner Künstlerkolleginnen zur Ausstellung dazu geladen: Heike Ruschmeyer und Annedore Dietze, die jede für sich Körperlichkeit und Gewalt in ihren Bildern zur Sprache bringen. Sehr direkt geht Annedore Dietze in ihrer “Boxkampfserie” (6 500 DM) das Thema an. Mit schnellen Pinselschlägen aus penetrant fleischfarbenen Rot- und Rosatönen werden gekrümmte und ineinander verkeilte Körper auf die Leinwand gebracht. Das Vorbild Francis Bacon klingt deutlich an. Heike Ruschmeyer setzt ihre malerischen Mittel dagegen anders ein. Ihre Figuren erscheinen verzerrt, die Malschichten sind sorgfältig aufgebaut und die Farben in harmonischen Übergängen aufeinander abgestimmt. Das Unbehagen ihrer Bilder liegt im Sujet: Die Arbeiten haben Polizeifotos von misshandelten Kindern zur Vorlage (“Der Plumpsack geht um”, je 18 000 DM). Thomas Grünfeld, der mit seinen “Augenbilder”, besonders aber mit den aus verschiedenen Tierleibern zusammengesetzten “Misfits” Aufsehen erregte, gibt sich mit seinem 1999 entstandenen Portfolio “Heimspiel” nur scheinbar häuslich. Auf den zwölf Fotoarbeiten posieren weiblich…