2012-07-28 | Der Tagesspiegel – Vorbild Fluxus: In seinem Potsdamer Museum zeigt Heinrich Liman Kunst von Wolf Vostell, Christo oder Yoko Ono.
von Michaela Nolte
Immer mehr Sammler errichten private Museen und stellen Kunst nach ihren Kriterien aus. Wie stark sie damit Einfluss auf Künstlerkarrieren, Institutionen und den Markt nehmen – diesen Fragen gehen wir in unserer Kunstmarkt-Sommerserie nach.
Ein Fluxus-Mobil sollte es werden. 50 Meter lang und 20 Meter breit. Architektur mit Anziehungskraft und die perfekte Museumshülle für die provokanten Aktivisten um George Maciunas, die Anfang der 60er Jahre mit Happenings, Festivals und Konzerten die Kunstwelt von New York bis Wiesbaden, von Köln bis Tokio aufmischten. Aber auch eine Reminiszenz an Wolf Vostell, der Autos in Beton goss und in Environments kunstfähig machte.
Das schwebte dem passionierten Sammler Heinrich Liman vor. Nun residiert er seit fünf Jahren mit seinem Museum FLUXUS+ in ehemaligen Pferdeställen auf einem 1799 erbauten Militärgelände. Mit Blick auf das Hans-Otto-Theater und eine idyllisch am Tiefen See gelegen Terrasse für das Museums-Café. Weniger spektakulär, aber mit 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ein Kleinod – und das einzige seiner Art in Deutschland.
Dass Potsdam sich mit Sammlervisionen schwertut, zeigt die aktuelle Debatte um die Museumspläne von Hasso Plattner. Als Heinrich Liman 2004 sein privates Museum entwarf, wurde der kühne Bau bereits vom Bauausschuss abgeschmettert. Ohne Diskussion. Parallelen gäbe es schon, sagt der 66-Jährige, und betont im gleichen Atemzug, dass er sich nicht mit Plattner vergleichen wolle. Was das Vermögen des Software-Milliardärs anbelangt, mag das angehen. Doch mit seiner Sammlung um Vostell und Weggefährten wie Joseph Beuys oder Ben Vautier, Fluxus-Urgesteine wie Emmett Williams, Dick Higgins oder Ben Patterson muss Liman den Vergleich nicht scheuen.
Zur unprätentiösen Bescheidenheit des in Thüringen geborenen Architekten, Stadt- und Regionalplaners passt auch die pragmatische Entstehungsgeschichte von FLUXUS+. Sammlermuseen werden ja meist aus der Taufe gehoben, weil die Kunst die heimischen Wände sprengt, der Kunstliebhaber seine Schätze mit anderen teilen oder sich selbst ein Denkmal setzen möchte. Nicht so Liman, den die Kunst schon seit Mitte der sechziger Jahre begleitet. Während des Studiums in Trier erwarb er seine erste Arbeit. Ein Kommilitone steckte in Geldnöten und verkaufte ihm für 20 D-Mark ein kubistisches Ölbild. „Den Künstler kennt heute niemand mehr, aber das Bild hängt noch immer bei uns zu Hause”, freut sich Liman, der die Geschäfte der HEGLI Verwaltungsgesellschaft führt. Eine Holding mit Sitz in Berlin, Tochtergesellschaften in Frankfurt am Main und Potsdam und über 100 Mitarbeitern. Als das Unternehmen in einer schwierigen Phase steckte, kam Liman die Museumsidee: „Wir mussten Arbeitsplätze abbauen, und da gab es eine Schmerzgrenze. Mitarbeiter, von denen ich mich nicht trennen wollte. Mit dem Museum konnten wir Arbeitsplätze schaffen.“
Kunst gab es in Hülle und Fülle. Im Laufe der Zeit hatte sich die Leidenschaft von Heinrich Zille auf Klassiker wie Max Pechstein oder Karl Schmidt-Rottluff ausgedehnt und seit den Achtzigern auf lebende Künstler verlagert. Der Marktwert oder ein Wiederverkauf interessieren Liman nicht. „Kunst ist für mich keine Geldanlage. Die Zille-Sammlung existiert heute noch. Ich habe immer Kunst erworben, zu der ich eine Beziehung hatte. Vor allem zu den Menschen.“
Allen voran Wolf Vostell, dem er 1981 begegnete und bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden war. Der Fluxus-Pionier bildet denn auch eine Art Fixstern. Schon am Eingang des Museums sieht man seine Maxime „Leben=Kunst=Leben“ an der Wand und darunter die Assemblage „TV-Sara-Jevo“, die 1993 vor dem Hintergrund der Balkankriege auf verstörende Art Gewalt und Erotik miteinander verknüpft.
„Vostell hat sich nie als politischer Künstler verstanden. Aber in seinem Wirken war er sehr politisch. Ein unbequemer Künstler und durch seine engagierte Kunst erst recht unbequem“, sagt Liman nachdenklich, und hinter der randlosen Brille und den blauen Augen scheint die Erinnerung gegenwärtig. „Vostell war sein eigenes Kunstwerk und auch darin ein Vorläufer.“ Der Entwicklung vom Landschaftsbild der frühen Jahre über die bahnbrechenden Dé-coll/agen und Videos bis zum malerischen Spätwerk Vostells ist die kleine Retrospektive im Obergeschoss gewidmet. In Briefen, Entwürfen und Geschenken kann man zudem eine sehr persönliche Seite des Künstlers entdecken. Liman erzählt von Lady Gaga, die als Social-Media-Phänomen ja durchaus auf den Künstler als Gesamtkunstwerk zurückgehe, oder den Einflüssen von John Cage und Karlheinz Stockhausen auf die 68er-Bewegung.
In der lichten Halle im Erdgeschoss werden derlei Verknüpfungen nachvollziehbar. Das Herzstück des Museums gibt so ziemlich allen, die zur Fluxus-Bewegung gehörten oder sie gestreift haben – wie Christo und Yoko Ono – ihren Auftritt. Der Koreaner Nam June Paik, der sich parallel zu Vostell Anfang der 60er Jahre mit dem Medium Fernsehen beschäftigte, ist mit flirrenden Multimedia-Bildern vertreten, der 2007 in Berlin verstorbene Amerikaner Emmett Williams mit ironisch verspielten Collagen und bunten Overalls seiner Fluxus-People, die irgendwo zwischen Beuys’ Filzanzug und Teletubbies changieren. Dazwischen reihen sich Partituren von Ben Patterson, Hörbeispiele und Zeichnungen der „Bleistiftmusik“ des Österreichers Gerhard Rühm oder skurrile Musikinstrumente von Joe Jones und Jean-Jaques Lebel.
Dass Fluxus vor allem die Wiedergeburt der Kunst aus dem Geiste der Musik war, dokumentieren aber auch Fotografien und Statements von den Maulwerkern. Das 1993 gegründete Ensemble für neue Musik führt Fluxus-Konzerte wie George Brechts wortwörtliche „Drip Music“ aktuell wieder auf. Und ganz freimütig gesteht Heinrich Liman, dass Fluxus-Konzerte als Live-Erlebnis beeindruckend seien, dass es ihm aber noch heute Schwierigkeiten bereite, die Musik aus der Konserve zu genießen.
So fließend und ephemer die Kunst der rebellischen Spaß-Guerilla im Kern war, mit der vergnügten Mischung aus Memorabilien und Manifesten, aus Dokumentationen, Objekten und Installationen, beweist das Museum FLUXUS+, dass die einstige Avantgarde durchaus museal präsentiert werden kann. „Das ist schon auch ein Widerspruch. Aber Fluxus lebt!“, meint Heinrich Liman lachend, und zum ersten Mal wird die sonore Stimme etwas lauter. Mit dem Plus im Namen öffnet er die Räume – die auf zehn Jahre mit Option auf Verlängerung gemietet sind – der zeitgenössischen Kunst. Das Atrium ist Wechselausstellungen vorbehalten – derzeit schneidet Mary Bauermeister dem Alten Fritz den „Zopf ab“ (bis 19.8.). Die ständige Sammlung zeigt Hella Santarossa, Sebastian Heiner, Lutz Friedel und Costantino Ciervo. Dass die – außer dem in Berlin lebenden, neapolitanischen Performance- und Medienkünstler Ciervo – so gar nicht in der Fluxus-Tradition stehen, gehört zu den Freiheiten, die sich ein Privatsammler nimmt. Ebenso wie der Museumsshop, dessen überbordendes Angebot von Grafik und Christo-Uhren, von Designer-Hütchen und Frühstücksbrettchen die Verbindung von Kunst und Leben dann doch arg strapaziert. Nichts für Puristen.