About Sebastian Heiner
In an interview in 2001 Sebastian Heiner stated he would most like to be the cat from Alice in Wonderland: «I’d grin then disappear again into red oil paint without a trace!» Three years later he took off. Not quite as quick as the Cheshire Cat but since 2004 the artist from Berlin has been living and working in Beijing for six or seven months a year. This has not however turned Sebastian Heiner’s imagery upside down.
And yet being in China as a European caused fine branched roots to strike. The impressions of a foreign culture, the experience and the sensation in midst of a metropolis populated with over 15 billion inhabitants have weaved themselves into the painting’s gestures as rhizomorph structures.
The paintings do not state comments or resemble vedutes or even images visible to the human eye but enable the viewer to experience the otherness, also his own otherness. The color range became brighter and even the black background in «Shanghai Nightclub» for example unfolds a fresh and fleshy liveliness, a complete opposite of the connotation we have of black as a symbol of death and lament.
The abstract and the figurative undergo a new intense correlation in «Palace in the Clouds», «Dusk» or «Le Sacre du Printemps». In place of an either-or Sebastian Heiner manages to combine the apparent opposites in a prolific manner through abstract figuration to which he found his way in the last couple of years.
In «Heaven’s Society» the colors blue, green and yellow simultaneously implode and explode rushing over the canvas from the far right, pushing orange and magenta tones towards the center.
In the left third of the painting the outline of a figure is visible among the blue and green that shimmer turquoise and enable a view of the sky. The figure stands in midst of powerful putty strokes and a color impetus that Sebastian Heiner does for the most part not apply with his paint brush but by means of his arm or the besom. Only when the eye joins the figure moving in direction of the color swirl does the viewer notice the heavenly company, a dancer maybe or a warrior, a hand placed in the middle carving out another figure through the orange and magenta. Faces or masks peer out of their lairs in between color drenched spheres.
In view of the fascinating as well as overwhelming antagonisms in the People’s Republic of China the painter found a way to focus and transforms the experience and his own point of view into cryptic signs.
The paintings remain candid and are approximations not verdicts; a vivid dispute that poses the temperament of the Chinese present tense. The coexistence of impoverishment and luxury, the clash of traditions and an unrestrained capitalism are as much questioned as the western culture’s inconsistencies.
How do we see the foreign? And how does it see us? The artist village salesman warns the artist not to buy four stretchers because four is an unlucky number (having a strong phonetic likeness to the Chinese term for death). The foreigner will of course return to his studio with five stretchers, as the number five symbolises the five world orders and the five elements. It is of no importance which piece of art originated where. According to the artist it is not the place of origin but the place of being that defines the painting’s character.
«Where are we going?» Novalis asks in Heinrich von Ofterdingen. «Always home».
On his way, bouncing back and forth between cultures while trying to assimilate them Sebastian Heiner gets to the core of the matter. The color composition in «Breakup” vehemently draws the viewer into the painting. An expressive flow sways light heartedly and lively on the background of a pastel yellow-green. The floating structures could picture a raging dragon or a gathering of people or even depict the cut and thrust of nature and culture.
There are two signs to the coin, smiling and screaming, «riots / stormy feeling charmed» as Rilke states in «The Second Elegy».
We can find parallels in Sebastian Heiner’s paintings and the Cheshire Cat. We can see figures and bodies, creatures and worlds in midst of the color frenzy that will disappear when we look at the painting from another position or the light falls on it in a slightly different angle. It is the red color that remains. The painter disappears in it and thus leaves us space for our own signs and wonders.
Michaela Nolte
Berlin, May 2009
“Die Gegenwart ist ein Leerbild, das mit einem Zeichen gerettet werden muß.” – Wilhelm Genanzino, “Mittelmäßiges Heimweh”
Am liebsten wäre er die Katze aus Alice im Wunderland, hat Sebastian Heiner 2001 in einem Interview gesagt: “Ich würde grinsen und wieder spurlos in der roten ölfarbe verschwinden!” Drei Jahre danach war er auf und davon. Nicht ganz so plötzlich wie die Edamer Katze, aber seit 2004 lebte und arbeitete der Berliner Künstler in jedem Jahr sechs bis sieben Monate in Peking.
Das hat die Bildsprache Sebastian Heiners nicht völlig auf den Kopf gestellt; doch das Da-Sein des Europäers im Reich der Mitte hat fein verzweigte Wurzeln getrieben. Die Eindrücke der fremden Kultur, das Erleben und Empfinden inmitten der Megastadt mit ihren mehr als 15 Millionen Einwohnern haben sich als rhizomorphe Struktur in den Gestus der Bilder eingewoben. Sie stellen keine Kommentare, Stadt-Veduten oder Abbilder des Sichtbaren dar, sondern machen die Erfahrung mit dem Anderen – auch mit dem eigenen Anders-Sein – für den Betrachter erlebbar. Das Farbspektrum ist leuchtender geworden, und selbst der schwarze Fond, zum Beispiel in “Shanghai Nightclub”, entfaltet eine Lebendigkeit, die erfrischend und körperhaft aufgeladen wirkt; so ganz entgegen unserer Konnotation von Schwarz als Symbol des Todes und des Lamentos.
Das Abstrakte und das Figurative gehen in “Palace in the Clouds”, “Dusk” oder “Le Sacre du Printemps” eine neue, höchst spannungsreiche Beziehung ein. Wo sonst ein Entweder-Oder im Vordergrund stand, hat Sebastian Heiner in den letzten Jahren zu einer abstrakten Figuration gefunden, in der sich die scheinbaren Gegensätze auf fruchtbare Weise durchdringen.
Blau, Grün und Gelb stürzen in “Heaven’s Society” in- und gleichsam auseinander. Von rechts her rasen sie über die Leinwand, drängen Orange- und Magenta-Töne ins Zentrum. Im linken Drittel, wo Blau und Grün zu Türkis changierend den Blick auf den Himmel freigeben, erstreckt sich die Kontur einer Figur. Auch sie im heftig bewegten Duktus aus kraftvollen Spachtelzügen und Farbschwüngen, die Sebastian Heiner zumeist nicht mit dem Pinsel, sondern mit seinem Arm setzt oder durch das Schlagen des Reisigbesens. Erst jetzt, wo das Auge gemeinsam mit der Figur zurück in Richtung des Farbwirbels wandert, wird man der himmlischen Gesellschaft gewahr: erkennt den Tänzer, einen Krieger vielleicht, mittig eine Hand, die plötzlich im Orange und Magenta eine weitere Figur herausschält. Dazwischen lugen Gesichter oder Masken aus ihren Schlupfwinkeln farbtrunkener Sphären hervor.
Angesichts der ebenso faszinierenden wie überwältigenden Antagonismen in der Volksrepublik hat der Maler zu einer Konzentration gefunden, die das Erleben und den eigenen Standpunkt zu rätselhaften Zeichen transformiert. Die Bilder bleiben stets offen; sind Annäherungen, keine Urteile. Ein lebendiger Disput, der die Paradoxien der chinesischen Gegenwart zur Disposition stellt – das unmittelbare Nebeneinander von Verelendung und Luxus, das Aufeinanderprallen von jahrtausendealten Traditionen und einem Turbo-Kapitalismus im Zeitraffer; aber ebenso werden die Widersprüchlichkeiten der westlichen Kultur hinterfragt.
Wie sehen wir auf das Fremde? Und: Wie sieht es zurück? Wenn zum Beispiel der Händler im Künstlerdorf eindringlich davor warnt, vier Keilrahmen zu kaufen, weil die Vier (wegen der Lautähnlichkeit mit dem chinesischen Begriff für Tod) eine Unglückszahl ist. Natürlich geht der Fremdling anschließend mit fünf Keilrahmen ins Atelier, denn diese Zahl symbolisiert die fünf Weltrichtungen und die fünf Elemente.
Wo welches Werk entstanden ist, spielt letztlich keine Rolle. Nicht der Entstehungsort bestimme den Charakter eines Bildes, so der Künstler, sondern der Ort des Seins. “Wo gehn wir denn hin?”, schreibt Novalis in Heinrich von Ofterdingen. “Immer nach Hause.”
Auf diesem Weg, im Vor und Zurück, im Springen zwischen den Kulturen und in ihrer Anverwandlung dringt Sebastian Heiner zum Wesentlichen vor. So vehement die Farbklänge in „Breakup“ den Betrachter in sich hineinziehen, so wenig muten sie brachial an. Beschwingt und bewegend entlädt sich der expressive Duktus vor dem pastellen gelb-grünen Hintergrund. Die fließenden Strukturen türmen sich auf zum Furor eines Drachen, vielleicht aber auch zu einer Menschenversammlung oder zum Widerstreit von Natur und Kultur. Das Lachen und der Schrei zwei Seiten nur einer Medaille: “Tumulte / stürmisch entzückten Gefühls”, wie es in Rilkes „Duineser Elegien” heißt.
Mit den Bildern von Sebastian Heiner verhält es sich ein wenig wie mit der Edamer Katze: In ihrem Farbrauschen entdecken wir Gestalten und Körper, Wesen und Welten, die mit einem nächsten Schritt, mit einem leicht veränderten Lichteinfall wieder verschwinden. Was bleibt, ist die rote Ölfarbe. Der Maler verschwindet in ihr und erschließt uns somit einen Raum für unsere eigenen, für die rettenden Zeichen.
Michaela Nolte
Berlin, Mai 2009