Dance with me
Nora Gantert
Berlin, Shanghai, Bangkok, Beijing – In search of his own unique position, his own language, Sebastian Heiner’s artistic practice consists of frequent journeys and changing locations. Uprooting and unfamiliarity serve as artistic and psychological challenges. Heiner methodically seeks existential confrontation, which finally manifests itself in the artist’s work as a powerful yet playful dispute. The paintings represent an ongoing challenge, a continuous grappling with the “other” while in search of oneself. Francois Jullien’s philosophical approach “from the other to the self” serves as backdrop for Heiner’s work.
The inherent human conflict of existing as a natural human being among man-made constructions is nowhere else as oppressive and as liberating as within a metropolis. Artificial, noisy, bright, chaotic, dirty, rough, tedious, colourful, boastful, and pretentious. To be aware of oneself in an environment that overburdens the psyche, surrounded by different life styles and cultural influences, religions, and languages is no easy feat. In this blend of life where humans, nature, and technology collide – most apparent in metropolises such as Shanghai, Beijing, and Bangkok – tension arises, a tension that gives life to Sebastian Heiner’s art. The artist becomes a traveler between the worlds, in a curious humane-misanthropic environment, where he traces urban developments, embarking on a journey to encounter and learn about his self, always pushing himself to his limits.
The artist’s inner conflict appears on the canvas and within the space, manifesting itself as sculptural painting. Heiner employs his body in the process, using his forearms and impressing himself into layers of paint. He squeezes the paint straight from the tubes, mixing the colours on the canvas. A monochrome undercoat serves as a theatrical stage, a platform for associations. Paint thrown onto the canvas, thickly applied, creates dynamic and multilayered reliefs of colour with strong spatial depths. Figurative associations appear, and then disperse into shapes. A rhythm forms on the canvas, constructed like a piece of music but made up of colour. The painting serves as a surface of reflection for the artist who uses his entire body to stage his play, composing scenes of colour in a ritualized dance.
One can almost feel sound in Heiner’s metropolis series, or hear distant notes from Dvoˇrák’s “New World Symphony” as the city’s noises are captured in colour. Heiner faces the canvas, the undercoat, standing as if opposite a mirror, at eye level. He fights, wins, loses, invokes, begs for and banishes each piece, each inch, onto the canvas through a choreography of colour and gestures.
Like a keynote, connections to music, ritual, and the stage run through each one of Heiner’s paintings – a melodic, deep buzz with rhythm and pulse, erupting and billowing, loud and at times gently quiet. Employed through a technique of painting reminiscent of dancing that is both performance and ritual alike. The methodical act of painting thus becomes a ritual, performed as a ritual dance, embodying a dispute with all levels of the “self”.
Heiner’s artistic creation signifies the return of ritualistic forces into contemporary society as an act of empowerment in the fathomless and menacing “concrete jungle”, as Michel Maffesoli calls it, representing the human ritual of self-reflection and self-positioning, and ultimately materializing in the paintings as his artistic position.
Aufforderung zum Tanz
Nora Gantert
Berlin, Shanghai, Bangkok, Beijing – Auf der Suche nach der eigenen Position, nach der eigenen Sprache, ist das häufige Reisen und der Ortswechsel Teil seiner künstlerischen Praxis. Sebastian Heiner sucht die existenzielle Konfrontation methodisch, Entwurzelung und Fremdheit dienen als künstlerisch-psychologische Herausforderung, an dessen Ende sich die kraftvolle und doch spielerische Auseinandersetzung im Werk des Künstlers manifestiert. Die Werke repräsentieren eine andauernde Aufgabe, eine fortwährende Auseinandersetzung mit dem „Anderen“ auf der Suche nach sich selbst. Über das Fremde zum Eigenen, so wie Francois Jullien es formuliert, bildet für Heiner den Hintergrund seiner Arbeit.
Die Zerrissenheit zwischen natürlichem Menschsein und Menschengemachtem (Konstrukt) empfindet Mensch selten so deutlich beklemmend – und befreiend – wie in Großstädten. Artifiziell, laut, grell, unübersichtlich, dreckig, rau, nervtötend, bunt, prahlerisch und protzig.
Sich seiner selbst bewusst und klar zu sein in einer auf die Psyche einschreienden Umgebung, zwischen verschiedensten Lebensweisen und Prägungen, Religionen und Sprachen, ist kein Leichtes. In diesem Amalgam aus Leben, an dieser Reibungsstelle zwischen Mensch, Natur und Technik – die gerade in Großstädten wie Shanghai, Beijing und Bangkok so überdeutlich zu Tage tritt – entsteht die Spannung, von der und mit der Sebastian Heiners Kunst lebt. In dieser merkwürdig menschlich-menschenfeindlichen Umgebung an die eigenen Grenzen gehen, den urbanen Entwicklungen nachspüren, so wird der Künstler zum Grenzgänger, der sich auf Reisen begibt, um sich selbst zu begegnen und zu erforschen.
Der innere Konflikt des Künstlers tritt auf die Leinwand und in den Raum, manifestiert sich zu skulpturaler Malerei. Malen manchmal mit dem Unterarm, direkt mit dem Körper auf die Leinwand. Sich selbst eindrücken in die Farbschichten. Sein Material, die Farbe, benutzt Heiner direkt aus der Tube, der Mischungsprozess geschieht erst auf der Leinwand.
Die einfarbige Grundierung fungiert als eine Theaterbühne, als Assoziationsebene. Die auf die Leinwand geworfene, geballt aufgetragene Farbe lässt dynamische und vielschichtige Farbreliefs mit starker räumlicher Tiefe entstehen. Gestaltassoziationen zeigen sich, lösen sich in andere Formen auf. Auf der Leinwand entsteht eine Rhythmik, ein Takt der Farben, gestaltet wie Musik. Das Bild, die Reflektionsfläche des Künstlers, dient als Bühne, auf der der Künstler unter vollem Körpereinsatz sein Stück auf die Bühne bringt, in einem ritualisierten Tanz Farbszenerien komponiert.
In den Großstadtserien Heiners meint man Geräusche ertasten zu können. Geräusche der Großstadt in Farbe gebannt, man meint Dvoˇráks „Aus der Neuen Welt“ zu hören. Heiner blickt der Leinwand, dem Malgrund ins Auge, er steht einem leeren Spiegel gegenüber, auf Augenhöhe. Jedes Stück, jeder Zentimeter wird erkämpft, errungen, erlitten, erfleht und erbettelt – und durch Choreographie der Farbe und Gestik auf die Leinwand gebannt.
Die Verbindungen zu Musik, Ritual und Bühne ziehen sich wie ein Grundton durch alle Arbeiten Sebastian Heiners – ein melodisches, ein tiefes Brummen, mit Rhythmik und Takt, ausbrechend und wabernd, laut und auch vorsichtig zart. Dazu eine Maltechnik, die an Tanz erinnert, die zugleich Performance ist und Ritual. Durch die Methodisierung wird der performative Malakt zum Ritual, ein ritueller Tanz als Auseinandersetzung mit dem „Ich“ auf allen Ebenen.
Für die Rückkehr des Ritualhaften in die zeitgenössische Gesellschaft als Akt der Ermächtigung im unergründlichen und bedrohlichen „Steindschungel“, wie Michel Maffesoli es nennt, steht das künstlerische Schaffen Heiners als ein Ritual der Selbstreflektion und Selbstpositionierung als Mensch und wird letztlich durch die Materialisierung im Bild zur künstlerischen Position.